
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Frau Frechen, Frau Kühn-Mengel, wie kommt es, dass sich plötzlich in der SPD eine Gruppe von Parlamentariern lautstark gegen den Kanzler stellt?
FRECHEN: Ich habe dafür keine Erklärung. Als ich am vergangenen Freitag vor der Osterpause mit denen in Berlin zusammen war, habe ich davon nichts mitbekommen. Es kommt aus der linken Ecke, das ist klar. Es hat aber, glaube ich, nichts mit der Person des Kanzlers zu tun.
KÜHN-MENGEL: Bei allen großen politischen Fragen haben wir Auseinandersetzungen, meistens spielen die sich intern ab. Es gibt natürlich jedes Mal Gruppen, die das Instrument der Öffentlichkeit nutzen, um Kritik zu befördern. Es bietet sich ja zurzeit auch an, weil eine Vielzahl von Reformen ansteht. Insgesamt ist an dieser Auseinandersetzung nichts Außergewöhnliches.
Auf welcher Seite stehen Sie, auf der Seite Schröders oder auf der der Rebellen?
FRECHEN: Auf Schröders.
KÜHN-MENGEL: Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe, die sich jetzt zu Wort gemeldet hat. Ich gehöre zu denen, die intern an der einen oder anderen Stelle – wie ich hoffe – konstruktiv Kritik äußern.
Was halten Sie an Schröders Reformplänen unter dem Stichwort Agenda 2010 für richtig?
FRECHEN: Alles, was Arbeit belastet, muss auf den Prüfstand. Es geht darum, Arbeit preiswerter zu machen, das ist entscheidend für neue Arbeitsplätze. Beispiel: Die Versicherung für das Krankengeld wird künftig nur noch von Arbeitnehmerseite aufgebracht, der Arbeitgeber wird also nicht mehr damit belastet. Natürlich ist das nicht positiv für die Arbeitnehmer, aber ich halte das für notwendig.
KÜHN-MENGEL: Es ist richtig, dass wir die sozialen Systeme reformieren und zukunftsfest machen müssen – angesichts der globalen Veränderungen, der konjunkturellen Schwäche und der demographischen Entwicklung. Aber dabei müssen wir auf die soziale Balance achten.
Was kritisieren Sie an Schröders Plänen?
FRECHEN: Ich sehe auch manches als Problem, was die Rebellen ansprechen. Stichwort: Aufweichung des Kündigungsschutzes. Es muss über Modelle nachgedacht werden, damit der Kündigungsschutz nicht einfach wegkommt. Bei sechs Beschäftigten in einem Betrieb könnte man den Schutz vielleicht für einen Mitarbeiter gewährleisten, bei sieben Beschäftigten für zwei, bei acht für drei usw.
KÜHN-MENGEL: Der Kanzler hat in seiner Rede Mitte März erst mal die Linien beschrieben, die Richtung, in die es gehen soll. Wir müssen sehen, was schlussendlich auf dem Papier steht, wir sind noch in der Diskussion. Mir persönlich würde es schwer fallen, wenn etwa die Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei der Finanzierung des Krankengeldes aufgegeben würde. Dass wir das Sozialsystem verändern müssen, da folge ich dem Kanzler. Wir müssen aber klären, wie wir die Finanzverantwortung gleichmäßig auf alle Schultern verteilen.
Ist denn Schröders Absicht, beim Krankengeld und bei Arbeitslosen zu kürzen, sozial ausgewogen? Finden Sie sich da als Sozialdemokratinnen noch wieder?
FRECHEN: Das Krankengeld wird nicht gekürzt, sondern rausgenommen aus der jetzigen paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Aber es bleibt bei der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Versicherung, also es bleibt beim Solidarprinzip, wonach der Gesunde auch für Kranke zahlt. Hingegen halte ich die Herabsenkung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld in der jetzigen Situation für problematisch, da es ja keine Arbeitsstellen gibt. Von daher kann man mit einer Kürzung auch keinen Druck auf Arbeitslose ausüben. Ich hätte ein dickes Problem damit, dieser Reform zuzustimmen, wäre ich nicht überzeugt davon, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in zwei Jahren gebessert hat.
KÜHN-MENGEL: Bei allen Bedenken, die ich an einzelnen Punkten habe und die ich in die Diskussion einbringe, ist das insgesamt noch immer ein sozialdemokratischer Ansatz. Denken Sie daran, was die Union vorgehabt hat: Die wollte die Zahnbehandlung aus der Versicherung herausnehmen, die Sozialhilfe kürzen und die Grundsicherung für ältere Leute streichen.
Was halten Sie von den Vorschlägen der Kritiker, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und die Erbschaftssteuer zu erhöhen?
FRECHEN: Der Einführung der Vermögenssteuer habe ich nie kritisch gegenübergestanden. Aber nun ist sie erst einmal weg. Wir können in dieser Frage nicht dauernd hin- und herspringen, deshalb lehne ich es ab, jetzt über eine Einführung nachzudenken. Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer halte ich nicht für nötig. Die jetzige Regelung ist völlig in Ordnung.
KÜHN-MENGEL: Zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer sage ich ja, das hielte ich für richtig. Das Thema Erbschaftssteuer muss auf den Prüfstand.
Wann wirft Ihrer Meinung nach Kanzler Schröder die Brocken hin?
FRECHEN: Überhaupt nicht.
KÜHN-MENGEL: Nein, das tut er nicht. Und dazu besteht auch gar kein Anlass. Wir haben als große Volkspartei immer Kontroversen gehabt und uns dann wieder zusammengefunden. Das kriegen wir auch diesmal hin.