Es war schon eine kleine Revolution: Zum ersten Mal veranstaltete die SPD im Erftkreis einen Parteitag, bei dem es ausschließlich um ein Sachthema ging.
Erftstadt-Köttingen – Die Pläne der Landesregierung, Langzeitstudenten zur Kasse zu bitten, hatte die Jungsozialisten auf den Plan gerufen. Sie mussten die Erfahrung machen, dass Revolutionen – selbst kleine – nicht überall auf Gegenliebe stoßen. Im Vorfeld hatten Mandats- und Funktionsträger am Sinn des Parteitages gezweifelt. Doch die Delegierten folgten der Argumentation der Jusos: Rund zwei Drittel stimmten für den Antrag in einer geringfügig geänderten Form.
Die SPD-Landtagsabgeordneten aus dem Erftkreis sind nun also aufgefordert, in der Landtagsfraktion gegen die Einführung von Einschreib- und Studiengebühren zu stimmen – an den Beschluss gebunden sind sie allerdings nicht. Dabei hatten gerade die Abgeordneten zunächst gegen den Antrag gesprochen. Dass sie genau hier auf Widerstand stoßen würden, hatten die Jusos schon gemerkt, als sie die Weichen für den Sonderparteitag stellten. Doch bereits da bekamen sie Unterstützung von der Basis, die Ortsvereine Hürth, Frechen, Kaster-Königshoven, Erftstadt und Brühl forderten die Einberufung.
Es hätte wichtigere Themen gegeben für einen Sonderparteitag, argumentierte nun Hardy Fuß MdL. Doch die Debatte bewies, dass Diskussionsbedarf bestand. 650 Euro pro Semester soll nach dem Studienkontenmodell bezahlen, wer die Regelstudienzeit um mehr als die Hälfte überschreitet. Für Klemens Himpele, Juso aus Hürth und bildungspolitischer Sprecher der Asta an der Uni Köln, ist die Form, wie das ab 2004 gehandhabt werden soll, allerdings nur eine Studiengebühr unter anderem Namen. Er erinnerte an den Beschluss des SPD-Bundesparteitages: Die Sozialdemokraten lehnen Studiengebühren ab.
Wer länger studiere, tue dies meist nicht aus Faulheit, sondern aus wirtschaftlichem Zwang, denn 72 Prozent der Studenten müssten nebenbei arbeiten. Außerdem sei die Situation an vielen Universitäten so, dass es gar nicht möglich sei, in der Regelstudienzeit fertig zu werden. Prüfungen würden oft nur einmal pro Jahr abgehalten – wer an diesem Tag krank sei, verliere zwei Semester. Plätze in Seminaren würden manchmal sogar verlost.
Studiengebühren träfen gerade die Kinder aus Arbeiterhaushalten, die ohnehin an den Hochschulen unterrepräsentiert seien. Himpele: Das kann doch nicht die Politik meiner sozialdemokratischen Partei sein! Kostenfreie Bildung sei ein Urgestein sozialdemokratischer Politik, sprang ihm der stellvertretenden Vorsitzende der Erftkreis-Jusos, Torsten Müller, bei. Die Haushaltspolitik des Landes sei nicht der Hintergrund für die Debatte um das Studienkontenmodell, widersprach der Referent der SPD-Landtagsfraktion, Thorsten Menne, einem Vorwurf der Jusos. Ziel sei vielmehr, die Studienzeiten zu verkürzen. Dafür müssten bessere Bedingungen an den Hochschulen geschaffen, aber eben auch den Studenten finanzieller Anreiz geboten werden.
KOMMENTAR VON ULLA JÜRGENSONN
Schönes Lehrstück
Um einen Parteitag zu einem ungeliebten Thema schon im Vorfeld zu Misserfolg zu machen, gibt es ein paar simple Tricks, die jeder Politprofi beherrscht. Man sagt dem Antragsteller, das Ganze habe sowieso keinen Sinn, die Entscheidungen seien längst gefallen, und außerdem gebe es keine Chance auf eine Mehrheit für den Antrag. Und man streut das Gerücht, natürlich getarnt als Befürchtung, es kämen gar nicht genügend Delegierte, um beschlussfähig zu sein. Zum Glück klappen auch bewährte Winkelzüge nicht immer, wie der SPD-Sonderparteitag bewiesen hat.
Und wenn die etablierten Herren in der Partei allzu deutlich versuchen, mit altväterlicher Überheblichkeit den Parteinachwuchs abzubügeln, merkt das der Delegierte und reagiert verstimmt. Der Parteitag hat nicht nur den Landtagsabgeordneten, sondern damit auch ihrem Vorsitzenden Hans Krings die Gefolgschaft verweigert. Das war die Quittung für eine Diskussion, in der sich die Mandatsträger schon ziemlich peinlich an sozialdemokratische Kardinaltugenden erinnern lassen mussten.
Die Jusos argumentierten mit Sachverstand und Leidenschaft – hoffen wir, dass sie nicht auch demnächst ins Lager der Vielredner und Nichtssager wechseln. Das ist offensichtlich auch ohne sie schon mehr als ausreichend bestückt. Die Mehrheit jedenfalls hat den Mut honoriert, mit dem der Nachwuchs gegen die Phalanx der Mandatsträger anging und nicht einknickte. Und sie ist guten Argumenten gefolgt.
Ob der Protest aus dem Erftkreis in der Landespolitik Wirkung zeigen wird, muss leider bezweifelt werden. Dennoch ist das Fazit positiv: Dieser Parteitag war ein schönes Lehrstück in Sachen Basisdemokratie.