Die Jugend bildet sich was ein

Guido van den Berg, Martin Bornträger und Jochen Ott

Jochen Ott war selbst überrascht. Schon kurz nachdem er dem einen oder anderen das Bildungspapier von insgesamt 23 jungen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in die Hand gedrückt hatte, bekam er unerwartet positive Reaktionen. "Selbst Harald Schartau und Peer Steinbrück sind ausgesprochen freundlich damit umgegangen", strahlte der junge Vorsitzende der Kölner SPD.

Seit einigen Wochen hatte sich eine junge Truppe aus Genossen getroffen und an dem Papier gefeilt, das mit manchem aufräumt, was unter Sozialdemokratischen Bildungspolitikern als heilig gilt (die NRZ berichtete). Wo Schulministerin Gabriele Behler noch vorsichtig über eine größere Selbstständigkeit der Schulen nachdenkt und eng begrenzte Versuche zulässt, wollen die Jungen die volle Autonomie der Schulen und auch gleich die Regierungspräsidien als Kontrollbehörde abschaffen.

Dass damit Widerspruch programmiert ist, stört die Bildungsaufrührer wenig. Auf einen Konsens mit den bislang im Schulbereich aktiven Genossen
setzen sie eh´ nicht; dass die Altvorderen die nach Pisa notwendigen Reformen wirklich durchsetzen, glauben sie nicht mehr. "Trotz dieser Aktualität scheint die Riege der verantwortlichen Bildungspolitiker erstarrt zu sein und in unerklärlicher Passivität zu verharren", kritisieren die 23 Erstunterzeichner des Papiers ungewöhnlich deutlich, neben Ott und dem Kölner SPD-Fraktionschef Martin Börschel auch der Bonner
Bundestagsabgeordnete Uli Kelber.

Die junge Truppe vertraut auf die Kraft der 142 000 Lehrer und Lehrerinnen, verlangt aber, dass sie von der Last der Bürokratie befreit werden.
"Erlasse, Gesetze, Wünsche, Forderungen, Theorien – jeden Tag prasseln schöne Ideen, aber auch grober Unfug auf die direkt Verantwortlichen ein", urteilen sie über die ministerielle Regelungswut. "Jede Schule ist in Zukunft für sich selbst verantwortlich", lautet daher ihr Credo. Beginnen soll das damit, dass die Schulleiter künftig in der Schule selbst gewählt werden.

Es ist ein erstaunlicher Mix, der die Bildung beflügen soll. Die Kommunen erhalten die Zuständigkeit für Schulen, das Ministerium darf nur noch über Bildungsstandards wachen. Und: Wo eine differenzierte Oberstufe aus finanziellen Gründen nicht mehr gehalten werden kann, plädiert man für
andere Prioritäten; in diesem Fall will man sozialdemokratische Entscheidungen der 70er Jahre wieder kassieren. Die Gesamtschulen ist mithin kein Glaubensgrundsatz mehr.

Ganz grundsätzlich geht man davon aus, dass es auch künftig nicht mehr Geld gibt und auch nicht geben muss: "Die Ressourcen müssen intelligenter
und zielgenauer eingesetzt werden". Heißt: Die Trennung zwischen Jugendhilfe und Schulen aufheben, Schulen Sponsoren an die Seite stellen,
Werbung aber verbieten. In sozial schwierigen Stadtvierteln müsse indes mehr Geld zur Verfügung stehen. Und: Als Mittel gegen soziale Ausgrenzung
schlagen die jungen Genossen Schuluniformen für alle vor. Mit einem Hintergedanken: "Die Kultur
der Gleichgültigkeit muss überwunden werden". (NRZ)