Irgendwann war es den Schülern der Realschule Herkenrath zu bunt. Mode hin, up to date sein her – womit sie da dauernd konfrontiert wurden, strapazierte die Toleranz der Klassenkameraden über die Maßen: Viel zu kurze Tops bei den Mädchen und deutlich zu tief sitzende Hosen bei den Jungen. Die Schülervertretung schritt zur Tat und erließ eine Kleiderordnung. Das Thema Schul-Outfit war geboren. Gestern nun schritten die Schüler der Klasse 9b und ihre Lehrerin zur Tat: Die Einheitskleidung, in der sich die Schüler ein Vierteljahr lang präsentieren werden, wurde ausgeliefert und angelegt. Es ist der Anfang eines Experiments.
Doch bis es so weit war, musste viel Widerstand überwunden werden. Und der beschränkte sich nicht nur auf die Schüler. Nie war ein Klassenpflegschaftsabend so gut besucht wie der, an dem das Projekt besprochen wurde. Viele Eltern erinnerte ein gemeinsames Erscheinungsbild ihrer Kinder an das Tragen von Uniformen. Sie sahen den Nachwuchs militarisiert – und das wollten sie auf gar keinen Fall. Andere fürchteten um das Renommee der Kinder, die nicht wie Affen im Käfig begafft werden sollten, weil sie anders gekleidet seien als Altersgenossen. Und wieder andere weigerten sich schlicht, teuer gekaufte Klamotten ungenutzt im Schrank hängen zu lassen. Die Wende brachte der Hinweis, dass schließlich auch in Sportvereinen häufig die gleichen Trainingsanzüge getragen werden – offenbar ohne großen Widerstand der Sportler.
Auch unter den Schülern wurde die Diskussion kontrovers geführt. Immerhin gab es gute Gründe, den Kleidungsindividualismus einmal zurückzustellen. Mobbing war da ebenso Thema wie das Abziehen – sprich das Erpressen – der teuren Markenklamotten. In die Waagschale geworfen wurden aber auch ganz praktische Argumente. Immerhin fließt viel Taschengeld in die Kleidung, und wer Pech hat und den richtigen Zeitpunkt verpasst, ist trotz teuerster Klamotten schon wieder out. Und nicht zuletzt: Das morgendliche Suchen im Kleiderschrank entfällt.
Schulleiterin Monika Thilo zählte von vorneherein zu den Befürwortern der Schulkleidung: Es soll keine Gleichmacherei betrieben werden, aber wir wollen verhindern, dass sich die Schüler ausschließlich über die Label identifizieren. Zu denken gab ihr vor allem die Erzählung einer Mutter, die preisbewusst in einem Supermarkt eine Jeans gekauft hatte und – weil ihre Tochter darauf bestand – eines der im Trend liegenden Label aufnähte. Das jedoch fiel den Klassenkameraden auf und sie überschütteten das Mädchen fortan mit Hohn und Spott.
Der Diskussionsprozess zog sich über Monate hin, doch am Ende wurde Einigkeit hergestellt. In den Mode-Beirat der Schüler und Schülerinnen, der beim Sponsor, der TrendFashion im Bergisch Gladbacher Loewen CityCenter, das Outfit aussuchte, ließ sich sogar einer der ausgewiesenen Gegner wählen. Krass dagegen gewesen sei Robert Wulf, berichtet Klassenlehrerin Marianne Linden, zu Beginn habe er sich strikt geweigert. Sven Pankraz war das Pendant dazu: Er befürwortete das Unternehmen. Bei der Zusammenstellung der Einheitskleidung ergänzten die beiden sich prächtig: Im Nu waren Jeans, weißes Hemd oder T-Shirt, Rippen-Strickjacke und Outdoor-Jacke gefunden – und überzeugten auch ihre Klassenkameraden. Nun muss nur noch das Schul-Logo aufgenäht werden.
Während die Schüler der Realschule Herkenrath ihre ersten Gehversuche mit dem Einheitsoutfit machen, gehört die Schuluniform in der Englischen Schule in Köln-Zollstock und Raderthal bereits zum Alltag. Seit der Gründung 1985 tragen die 500 Schüler im Alter zwischen drei und 18 Jahren Einheitskleidung. Schon die ganz Kleinen (gearbeitet wird nach englischem Vorbild) erhalten die zehnteilige Kombination aus Sweat- und Polo-Shirts, Röcken und Hosen in Blau- und Grau-Tönen. Gründerin und Prinzipalin Marietta Horton wollte von vorneherein ausschließen, dass Schüler sich durch ihre Kleidung unterscheiden. Im Laufe der Jahre konnte Horton aber auch einen weiteren Effekt beobachten: Das einheitliche Erscheinungsbild stiftete Gemeinschaftsgefühl. Und das scheint etwas zu sein, nach dem Jugendliche streben: Junge Leute brauchen eine Möglichkeit der Identifikation, sagt Barbara Friedrich, Schulpsychologin der Stadt Köln. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe gibt ihnen Sicherheit. Immerhin seien sie auf der Suche: Den Kinderschuhen entwachsen, aber auch noch nicht erwachsen, würden Gleichaltrige für sie immer wichtiger. Hinzu komme eine unsichere Zukunft. Fragen wie Was wird aus mir? Bekomme ich einen Arbeitsplatz? könnte den Teenagern heute keiner beantworten. Immer größer werdende Klassen machten zudem die Orientierung schwierig. Und da Jugendliche heute mehr Geld hätten denn je, würde die Gruppenzugehörigkeit eben über den Erwerb von Kleidung definiert. Neu ist das Phänomen insgesamt nicht. Schließlich wusste schon der Dichter Gottfried Keller (1819 – 1890): Kleider machen Leute. Dass aber schon Jugendliche sich vielfach ausschließlich über ihr Outfit definieren und Außenseiter nicht nur links liegen lassen, sondern sogar aktiv mobben, führt Psychologin Friedrich auf eben diese Unsicherheit zurück. Andere zu drangsalieren, verschaffe dem Täter ein Gefühl der Stärke.
Die Gefahr, auch mal zum Opfer zu werden, ist allerdings groß: Nach Schulschluss wird das Abziehen, das vom-Leib-Stehlen teurer Markenware, immer mehr zum Thema. Und das hat dauerhafte Folgen: Das Ohnmachtsgefühl, das sie in dieser Situation befällt, werden Schüler so schnell nicht los.
Alle Pullover sind jetzt blau
"Blau ist meine Lieblingsfarbe", reckt der fünfjährige Ben das Kinn. "Und meine auch", ruft seine kleine Nachbarin Lea und zupft mit aufblitzendem Stolz in den Augen an ihrem dunkelblauen Sweatshirt. Die beiden tragen, wie alle ihre anderen Klassenkameraden auch, eine Schuluniform. Die ist noch brandneu, gerade vier Wochen alt. Im September hat die englisch-sprachige Privatschule St. George´s School Cologne sich der englischen Tradition angeschlossen und eine Einheitskleidung eingeführt. "Doch weniger die Tradition war dafür ausschlaggebend – die Kinder kommen ja aus 15 verschiedenen Nationen-, sondern sehr praktische Überlegungen", sagt die Schulleiterin Marietta Horton zum Entschluss.
Eine Fragebogenaktion bei allen 340 Schülern vor einem Jahr gab den Ausschlag: "Die Kinder selbst wollten eine einheitliche Kleidung. Auch die Farben haben sie selbst bestimmt." Die Schulleitung entwarf daraufhin die Kollektion, die speziell angefertigt wird. Dunkelblaue Sweatshirts und V-Wollpul¦lover können mit Hemden, Poloshirts und Blusen in Hellblau sowie mit Röcken und Hosen in Grau kombiniert werden. Auf den dunklen Sweatshirts prangt unübersehbar in Weiß das Wappen der Schule. Was die Herzen der Mütter höher schlagen läßt: Alle Teile sind aus Naturfasern gefertigt, preislich erschwinglich und überstehen zig Wäschen, ohne an Farbe und Fasson zu verlieren. "Weiter wollten wir die Dinge auch nicht treiben", meint Marietta Horton. "Schuhe, Strumpfhosen, Anoraks, Mäntel und Sportsachen können weiterhin nach Gusto gewählt werden."
Aber werden sie nicht zu einer Masse, alle diese Kinder in Blau-grau? "Aber nein", meint die Lehrerin Lesley Sawyer. "Im Gegenteil. Die Kinder sind jetzt nicht mehr abgelenkt durch Äußerlichkeiten. Das Kind selbst zählt jetzt, sein Charakter, und nicht das, was es anhat." Und das sei der Haupteffekt, den die Schuluniform auslösen sollte. "Wir haben hier eine Diskrepanz zwischen sehr reichen Eltern und Eltern, die für das Schulgeld sparen müssen. Die Kinder – und markenbewusst sind sie alle – sahen natürlich den Unterschied zwischen Versace und Woolworth. Wir wollen es erst gar nicht wegen der Kleidung zu Gewalttätigkeiten unter Jugendlichen kommen lassen, und Eltern sollen auch nicht von ihren Kindern unter Kaufdruck gesetzt werden. Wir wollen, dass das Kind selbst im Vordergrund steht, es sich nicht über Marken definiert und von den Klassenkameraden abstechen will." Die Uniform bewirke das Gegenteil. "Die Kinder fühlen sich zusammengehörig."
In manchen Elternhäusern selbst sei eine noch ungewohnte morgendliche Ruhe eingekehrt, erzählt Marietta Horton: "Einige Mütter erzählten begeistert, dass die Kampfansage vor dem Kleiderschrank "Was ziehe ich heute an" nicht mehr da ist. Der Tagesanfang verläuft reibungsloser." Und die Lehrer, wirkt sich der School-Look auch auf sie aus? "Tja, das ist ebenfalls ganz interessant. Die korrekte Kleidung wirkt offenbar ansteckend auf die Großen, ich sehe nämlich weniger Schlabberlook."